Gläserne Welten – Potsdamer Glasmacher schneiden Geschichte

Gläserne Welten – Potsdamer Glasmacher schneiden Geschichte

Organisatoren
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.02.2017 - 18.02.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Verena Wasmuth, Kunsthistorikerin und freie Mitarbeiterin am Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte

Für den Herbst 2017 plant das Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte eine Ausstellung mit dem Titel „Gläserne Welten – Potsdamer Glasmacher schneiden Geschichte“. Ziel des gleichnamigen Symposiums war es, in Vorbereitung dieser Ausstellung führende Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der barocken Glasforschung zusammenzubringen, damit sie ihre aktuellen Studien vorstellen, hinterfragen und in die laufende Planung einbringen können.

Das historische Glas erfuhr länger eine geradezu stiefmütterliche Behandlung seitens der deutschen Museumslandschaft. Das Thema gilt nicht gerade als en vogue. Die Referentinnen und Referenten stimmten darin überein, dass der Initiative der Potsdamer Ausstellungsmacher hoch anzurechnen sei, gegen den aktuellen Zeitgeist ein Signal mit geschichtswissenschaftlicher Relevanz zu setzen: Die auf kurfürstliches Engagement im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts gegründete Glashütte bei Potsdam erlangte überregionale Bedeutung. Sie kann als erste großhandwerkliche Produktionsstätte für Luxusglas angesehen werden. Eine Fragestellung der Veranstaltung richtete sich auf die Errungenschaften des Alchemisten Johann Kunckel, unter dessen Ägide prachtvolle Becher und Deckelpokale für den preußischen Hof entstanden. Diese waren besonders klar und dickwandig, perfekt geeignet für die kunstvolle Veredelung. Kunckel gelang darüber hinaus in einem hochkomplexen Verfahren die standardisierte Herstellung des Goldrubinglases.

Die unternehmerische Denkweise hinter der Manufakturarbeit war eine wichtige Etappe für die Entwicklung der seriellen und industriellen Fertigung in Deutschland. Während im Handwerk alle Arbeitsschritte zur Herstellung eines Produktes überwiegend in der Hand eines einzelnen Meisters oder nur weniger zuarbeitender Gesellen lagen, so wirkten nun in der Manufaktur viele hochqualifizierte Spezialisten unter einem Dach. Dies ermöglichte nicht nur eine enorme Steigerung der Produktivität und der Komplexität der Waren, sondern sicherte auch deren gleichbleibende Qualität, die das Renommee brandenburgisch-preußischer Gläser begründete. Aus diesem Grund lag ein zentrales Anliegen des Symposiums in der Eruierung der beteiligten Akteure: Einige der besten Künstler des deutschen, böhmischen und schlesischen Glasschnitts waren in der Potsdamer Hütte und ab 1736 in der Zechliner Nachfolge nordwestlich von Rheinsberg tätig.

Die Direktorin des Potsdam Museums und Mitorganisatorin der wissenschaftlichen Veranstaltung JUTTA GÖTZMANN (Potsdam) machte zu Beginn deutlich, dass der mitunter ungewöhnlich gewählt erscheinende Titel des Projektes neugierig machen und auch Menschen ansprechen solle, die mit dem Thema Glas weniger vertraut seien. Ob die in Potsdam wirkenden Glasmacher nun aus der Region stammten oder lediglich dort gearbeitet hätten, sei nicht in allen Fällen belegt. Zudem sei den Machern bewusst gewesen, dass Glasmacher keine Gläser geschnitten haben, sondern dass dies Aufgabe der Glasschneider gewesen sei. Götzmann habe indes die wahrlich herausragende Bedeutung des Themas für die städtische Kulturgeschichte zum Anlass genommen, in Potsdam erstmalig und in ungesehener Breite eine Ausstellung ins Lebens zu rufen, die sich dezidiert mit Glas brandenburgisch-preußischer Provenienz beschäftigen werde.

Ein erster Block bot material- und quellengestützt Zugänge zu herausragenden Produkten sowie Persönlichkeiten brandenburgisch-preußischer Glaserzeugung. DEDO VON KERSSENBROCK-KROSIGK (Düsseldorf) stellte Goldrubingläser in den Fokus seines Vortrags und betrachtete zudem einleitend drei signierte Arbeiten Gottfried Spillers aus farblosem Glas sowie Bergkristall. Es ließe sich nachweisen, dass der tatsächliche Materialwert, der ja bei Glas weitaus niedriger als bei reinem Quarz lag, durch die Schwierigkeit der Veredelung aufgewertet worden sei. Auch der Wert des Goldrubinglases läge nicht allein in der den hohen Kosten für einzelne seiner Bestandteile begründet, hingegen in den ihm zugeschriebenen symbolischen, alchemistischen sowie gesundheitsstärkenden Eigenschaften. Ob neben der Potsdamer und böhmischen Produktion auch eine süddeutsche Hütte Goldrubinglas hergestellt habe, könne nicht abschließend beantwortet werden, so Krosigk. Dies sei jedoch – wenn auch nur für eine kurze Lebensdauer – anzunehmen.

MATTHIAS P. HEINTZEN (Wolfenbüttel) widmete sich Blauglasprodukten, die in Potsdam mit Zaffera, einem kobalthaltigen Erz, hergestellt wurden. Die Hütte habe Rohlinge an die Glaswerkstätten in der Umgebung verkauft, wo oftmals zugewanderte Glasschneider stilistische Einflüsse importierten, etwa die „böhmische Manier“. Heintzen präsentierte mit insgesamt 15 ihm bekannten blauen barocken Gläsern eine überschaubare Produktion. Auch wenn im Verlauf der Veranstaltung einige weitere kobaltblaue Beispiele vorgestellt werden konnten, machte der Beitrag den Seltenheitswert dieser Arbeiten deutlich.

JASMIN MERSMANN und MYRIAM NAUMANN (beide Berlin) stellten Johann Kunckel als literarische Figur und Projektionsfläche in den Mittelpunkt ihres Beitrags. Die Reflexionen auf seinen Werdegang und Unternehmergeist überzeichneten fiktiv als Referenz das Geheimnisvolle. Die beiden Kulturwissenschaftlerinnen widmeten sich dem Thema Barockglas mit disziplinübergreifender Fragestellung ohne den Wahrheitsgehalt von Prosatexten ungeprüft zu übernehmen. Damit erweiterten sie die in der ersten Hälfte des Panels aufgezeigte gesicherte Quellenforschung zu Kunckel um die Dimension des Imaginären und lieferten so eine schlüssige Erklärung für die gleichbleibende Aktualität der „Faszinationsgeschichte“ der Pfaueninsel als seinem Wirkungsort. Der Handschrift des Hofglasschneiders Martin Winter ging LOTHAR FRANZE (Potsdam) in seinem Beitrag nach. Diesem ordnete er mittels „vergleichender Anatomie“ der geschnittenen Gesichter sowie über Dekormotive wie Kugel-, Diamant-, und Perlborten, Bäumen, Palisaden oder Tierbeinen beispielgebende Arbeiten zu. Von der Kunstgeschichte weitestgehend übersehen sei Winter stilistisch prägend für die Hakendamm‘sche Glashütte bei Potsdam gewesen. Während die Goldrubingläser und monumentalen Pokale gewiss von den Meistern selbst geschnitten worden seien habe doch der Werkstattbetrieb die enorme Produktivität zwischen 1678 und 1736 gesichert.

Dem Thema der höfischen Repräsentation wandte sich die zweite Sektion der Veranstaltung zu. SUSANNE EVERS (Potsdam) dokumentierte die Sammel- und Präsentationsvorlieben der Preußen-Herrscher, deren Bedarf den jeweiligen Umfang des Protektionismus bestimmt habe. Die Referentin stellte die noch erhaltenen Gläser Potsdamer Provenienz im Bestand der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg vor und ermöglichte einen Ausblick auf die Pläne für deren künftige Präsentation in Schloss Babelsberg. KÄTHE KLAPPENBACH (Potsdam) zeichnete ein anschauliches Bild der ursprünglichen Verwendung von Leuchtern und Beleuchtungskörpern mit Behang aus Bergkristall sowie Glas am preußischen Hof als „Geräte zur Erleuchtung“. Die archivalische Auswertung erschwere der zeitgenössische Begriff „Crystallin“, der beide Materialien bezeichnete. Gesichert sei, dass Bergkristallleuchter als stilistisches Vorbild für Behänge aus Glas dienten. Klappenbach verdeutlichte diesen Befund anschaulich anhand von mitgebrachten Beispielobjekten.

ANTJE MARTHE FISCHER (Schwerin) interessierten im dritten Panel mit dem Titel „Potsdamer Gläser in deutschen Museumssammlungen“ komparative Objektanalysen für eine Datierung und Attribution der brandenburgisch-preußischen Gläser im Depot des Staatlichen Museums Schwerin. Neben diesen gäben heraldische Motive, Montierungen aus Edelmetallen, die Ankaufssituation sowie konkrete Anlässe für Auftragsarbeiten Auskunft über deren Entstehungsgeschichte. SOPHIE MANNICH (Halle an der Saale) verfolgte anhand der Inventarverzeichnisse die Herkunft barocker Gläser in der Sammlung Kunsthandwerk im Kunstmuseum Moritzburg. Die Vielfalt der von ihr präsentierten Beispiele verdeutlichte mitunter Widersprüche bei der historischen Einordnung. Damit deckte die Referentin überraschend stilkritische Vergleichsmöglichkeiten mit anderen im Rahmen der Veranstaltung vorgestellten Museumsbeständen auf.

Die Bedeutung der Provenienzgeschichte für eine regionale und zeitliche Zuschreibung betonte MIRIAM J. HOFFMANN (Plön).

Darüber hinaus könnten Technik, Motive und Sujets eine verlässliche Hilfestellung bei der Einordnung der als Potsdamer bzw. Zechliner Gläser im Museum des Kreises Plön inventarisierten Objekte bilden. Eine Neubetrachtung der als gesichert geltenden Katalogisierung unter Hinzuziehung aktueller Forschungserkenntnisse habe bereits mehrfach zu Korrekturen geführt. Auch UTA KAISER (Potsdam) − zuständig für die Glassammlung des Potsdam Museums und Kuratorin der geplanten „Gläserne Welten“-Ausstellung − schlug vor, die existierende Datierung und Attribution barocker Gläser zu prüfen. Zudem sei es sinnvoll, die bereits nachvollzogene Zugangsgeschichte bzw. Verluste von Sammlungen zu hinterfragen. Eine Provenienzrecherche des Potsdam Museums habe gezeigt, das zwei Pokale aus dem frühen 18. Jahrhundert, im Nachkriegsinventar als Erwerbung aus dem „Kunsthandel“ von 1941 geführt, als NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter anzusehen seien. Ausgerechnet diese beiden Gläser seien gemeinsam mit einem weiteren zwischen Sommer 1948 und Sommer 1949 aus dem Museum entwendet worden. Alle Beiträge dieser Sektion machten deutlich, dass die Quellenlage nicht in jedem Fall abschließend als zuverlässig bezeichnet werden kann.

Das Symposium griff vordergründig ein Genre des Kunsthandwerks auf, bürstete dieses aber unter Einbeziehung fächerübergreifender Fragestellungen kunsthistorisch durchaus gegen den Strich. Der direkte Austausch zwischen Forscherinnen und Forschern mit verschiedenen Spezialgebieten brachte neue Erkenntnisse zu dem gemeinsamen verbindenden Leitthema und trug damit zur Klärung etwa biografischer oder chronologischer Unstimmigkeiten bei. Gleichzeitig warfen die lebhaften Diskussionen inhaltlich viele neue Fragen auf. In Anbetracht der lückenhaften und mitunter unsicheren zur Verfügung stehenden Dokumentation machte die Veranstaltung deutlich, dass als wichtigste Quelle noch immer die Gläser selbst dienen müssen. Man darf deshalb gespannt auf die Ausstellung sein, in der das Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte vom 27.08. bis 19.11.2017 mehr als 90 brandenburgisch-preußische Gläser von über 20 Leihgebern zeigen und sich dem Motivschatz ihrer Darstellungen widmen wird.

Konferenzübersicht:

Eröffnung des Symposiums und Begrüßung
Jutta Götzmann (Potsdam)

Einführungsvortrag
Uta Kaiser (Potsdam)

Sektion I: Johann Kunckel – Forschung und Rezeption

Dedo von Kerssenbrock-Krosigk (Düsseldorf): Goldrubinglas
Matthias P. Heintzen (Wolfsbüttel): „Dieses Kapitel handelt von der Zaffera, einer zu Tingier- und Färbung der Gläser sehr nützlichen Materia.“ Das kobaltblaue Glas der Potsdamer Hütte
Jasmin Mersmann / Myriam Naumann (Berlin): Kunckel als Projektmacher. Eine Faszinationsgeschichte der Pfaueninsel
Lothar Franze (Potsdam): Der Hofglasschneider Martin Winter – Eine Spurensuche

Sektion II: Höfische Repräsentation

Susanne Evers (Potsdam): Der Herrscher als Sammler – Die Präsentation Brandenburgischer Gläser in den Berliner und Potsdamer Schlössern
Käthe Klappenbach (Potsdam): Die „Cristallinen Cronen Leuchter auff Pariser Art“ für König Friedrich II. von Preußen

Sektion III: Potsdamer Gläser in deutschen Museumssammlungen

Antje Marthe Fischer (Schwerin): Potsdamer Gläser in der Schweriner Sammlung
Sophie Mannich (Halle a.d. Saale): Die Glassammlung des Kunstmuseum Moritzburg und der Bestand an Potsdamer Gläsern
Miriam J. Hoffmann (Plön): Potsdamer Gläser im Museum des Kreises Plön
Uta Kaiser (Potsdam): Die Sammlung Glas des Potsdam Museums – Forum für Kunst und Geschichte

Abschlussdiskussion
Kommentar und Moderation: Jutta Götzmann (Potsdam)

Ausflug auf die Pfaueninsel, Besuch der Meierei mit der neuen Dauerausstellung zu Johann Kunckel: Susanne Evers (Potsdam)


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